Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Orlando di Lasso-Gesamtausgabe

Menu

Wer war Orlando di Lasso?

Orlando di Lasso, der vielleicht der bedeutendste, jedenfalls erfolgreichste und berühmteste Komponist der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, war von 1557 bis zu seinem Tod am 14. Juni 1594 am Münchner Hof beschäftigt; zunächst als Sänger und Komponist, später als Hofkapellmeister.

Er machte München erstmals zu einer Musikstadt von europäischem Rang. Seine Zeitgenossen nannten ihn den Princeps musicorum (Fürst der Musiker), was von der hohen Wertschätzung schon zu Lebzeiten zeugt.

 

Orlando di Lasso. Portrait von Charles-Alphonse Deblois aus Félix Clément, Les musiciens célèbres, Paris 1867

1530 oder 1532

wird er in Mons im Hennegau (heutiges Belgien) geboren.

1544

wird er aus einem Chorknabeninstitut in seiner Heimatstadt entführt (zeitgenössisch kein Einzelfall) und folgt dem kaiserlichen Feldherrn und Vizekönig von Sizilien Ferrante Gonzaga nach Palermo und Mailand.

1549

geht er nach Neapel, wo er sich etwa drei Jahre lang aufhält.

1551–1554

(also schon als etwa Zwanzigjähriger) ist er Kapellmeister in Rom an S. Giovanni Laterano (und damit Vorgänger seines ebenfalls berühmten Zeitgenossen Palestrina).

1556

kommt er nach München.

seit 1557

ist er Sänger und Komponist am Hof (mit einem höheren Gehalt als der Kapellmeister Ludwig Daser) und

seit 1562/63

Hofkapellmeister.

1566

publiziert Samuel van Quicchelberg eine Biographie Lassos in der in Basel gedruckten Prosopographia heroum atque illustrium virorum totius Germaniae.

1567

kauft Lasso sein erstes Münchner Haus in der Graggenau, am heutigen Platzl. Dies ist nicht sein einziger Immobilienbesitz; 1582 erwirbt er am Platzl ein zweites Haus, zudem hat er Güter in Schöngeising, Putzbrunn etc.

1570

wird er von Kaiser Maximilian II. geadelt.

1571

erhält er vom französischen König Charles IX. ein persönliches Druckprivileg für Frankreich. 1581 verleiht ihm Kaiser Rudolf II. ein persönliches Druckprivileg für das Reich. Er ist somit einer der ersten Musiker, bei denen Anfänge des persönlichen Urheberrechts eine Rolle spielen.

1575 und 1583

gewinnt er Preise beim Komponistenwettbewerb in Evreux.

1590/91

erleidet er mutmaßlich einen Schlaganfall.

am 14. Juni 1594

stirbt er in München und wird auf dem Friedhof des Franziskanerklosters bestattet.

1604

publizieren seine Söhne Ferdinand und Rudolph eine Art Gesamtausgabe seiner Motetten, die zur Grundlage der Edition der Motetten in der ersten Auflage der (heute sogenannten) Alten Gesamtausgabe wird.

Breit gefächertes Werk

Etwa 1360 Werke hat er hinterlassen: Mehr als 500 Motetten — dazu ca. 175 Madrigale und andere Kompositionen mit italienischem Text — etwa 150 französische Chansons — knapp 100 deutsche Lieder und Psalmvertonun­gen — 70 Messen wurden ihm zugeschrieben (wovon einige nachweislich nicht von ihm stammen; bei etlichen ist seine Autorschaft unklar, da sie auch unter anderen Namen überliefert sind) — über 100 Magnificat — 4 Passionen — sowie viele kleinere Kirchenwerke wie Gesänge für das Messproprium oder Hymnen hat er komponiert. Eine Spezialität Lassos sind Zyklen wie die Prophetiae Sibyllarum — die Psalmi Davidis Poenitentiales (die sieben Bußpsalmen, überliefert in einem zweibändigen, aufwändig Seite für Seite ausgemalten Chorbuch in der Bayerischen Staatsbibliothek) — die Lagrime di San Pietro (Bußtränen des Heiligen Petrus, Lassos Schwanengesang) — dazu Lesungen zu Weihnachten sowie aus dem biblischen Buch Hiob (die Lasso zweimal vertont hat) und Lamentationen nach Jeremias.

Charakteristika seines Komponierens

Lasso standen alle stilistischen Mittel seiner Zeit zur Verfügung. Ein häufig zu beobachtendes, zentrales Merkmal seines Komponierens ist die Mischung unterschiedlicher Stile und Satzweisen innerhalb eines Werks; er setzt auf Kontraste im Sinne der „Varietas“: Ausgefeilte Imitation (besonders in zwei- und dreistimmigen Passagen) steht neben blockhaft homophoner Kompositionsweise; Vortrag auf langen Notenwerten kontrastiert mit rasch abzusingenden Phrasen; syllabische Deklamation und weit ausschwingende Melismatik können sich gegenüberstehen; extrem hohe kann gegen sehr tiefe Stimmlage gesetzt sein; expressiv gestaltete Stimmen stehen synchron zu ruhiger verlaufenden Stimmen, etc. Angesichts dieses Befundes hat der Musikwissenschaftler Horst Leuchtmann der Musik Lassos „beseelte Verrücktheit“ attestiert.

Chromatik, für die er sich wohl den dafür berühmten Cipriano de Rore als Vorbild nahm, wandte Lasso hingegen nur selten an, aber wo er sie einsetzte, tat er dies entschieden kühn (etwa in seinen Prophetiae Sibyllarum oder in einem seiner schönsten Stücke, der Motette Anna, mihi dilecta, veni).

Die stilistische Vielfalt dient nicht zuletzt der Textausdeutung, für die Lasso bei den Zeitgenossen hochgeschätzt war (der Theoretiker und Komponist Michael Praetorius rühmt ihn dafür).

Zudem überschritt er oft die stilistischen Grenzen der zeitgenössischen Gattungen. So finden sich in Motetten immer wieder aus dem Madrigal entlehnte Stilmittel: Im Madrigal wird der Text meist sehr affektbezogen in Musik gesetzt; „Madrigalismen“ intensivieren in der Motette die Textausdeutung. Des Weiteren gestaltet er deutsche Lieder nach Art einfacher französischer oder italienischer Satztypen. Er wurde damit zu einem Wegbereiter der Internationalisierung des Stiles in der Zeit um 1600.

Extrem weit verbreitet

Lasso ist der mit Abstand meistgedruckte Komponist seiner Zeit. Von seinen ca. 1360 Werken sind etwa 1200 in über 480 erhaltenen zeitgenössischen Drucken aus den Jahren 1555 bis 1687 überliefert. Manche seiner Werke sind über 30mal im Druck erschienen, viele etwa 20mal. (Auskunft über die Drucke gibt eine Bibliographie von Horst Leuchtmann und Bernhold Schmid: Orlando di Lasso. Seine Werke in zeitgenössischen Drucken 1555 – 1687, 3 Bände, Kassel usw. 2001.) Neben den Drucken gibt es eine schier unüberschaubare Anzahl an Handschriften mit seiner Musik. (Vgl. die Datenbank Orlando di Lasso: Seine Werke in handschriftlicher Überlieferung

lasso-handschriften.badw.de)

Berühmt bis in unsere Zeit

Die erste Beschäftigung von Musikern und Musikwissenschaftlern mit Lassos Musik fällt in die Mitte des 18. Jahrhunderts, wie Partituren aus dieser Zeit beweisen. Auf breiter Basis wiederentdeckt wurde sein Werk aber erst im frühen 19. Jahrhundert, als die Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts als Idealfall der liturgischen Musik gesehen wurde. Verschiedene weltliche Sätze wurden im Zug der Jugendbewegung zu Beginn unseres Jahrhunderts für Laienchöre ediert (oft mit ins Deutsche übersetztem Text). Im Rahmen des rapide zunehmenden Interesses an alter und immer älterer Musik innerhalb der letzten 50 Jahre nahmen sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtete Vokalgruppen der Musik von Lasso an und legten eine Anzahl hervorragender Einspielungen auf CD vor.